Kritik: In „Der Fall Moriarty“ zeigt Sherlock Holmes ganz große Gefühle
In den Kammerspielen der Josefstadt in Wien läuft aktuell die deutschsprachige Erstaufführung von „Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“. Ich habe mir das dezidierte Melodrama angeschaut und verrate dir meine Meinung dazu. Spoiler: Die ist gespalten!
Eines vorweg: Das neue Sherlock Holmes Stück „Der Fall Moriarty„ in den Kammerspielen in der Wiener Josefstadt bricht mit der Erwartung, die ich an so ein Stück habe. Und das bewusst: Im Begleitheft schreibt Stückautor Ken Ludwig, er habe aus den drei Holmes-Erzählungen „Das letzte Problem“, „Ein Skandal in Böhmen“ und „Die Bruce-Partington-Pläne“ ein großes Melodram gebaut.
Für ihn sind Melodramen dabei Geschichten „voller packender Momente der Gefahr, der Verzweiflung und der Angst, bevölkert mit zugespitzten Charakteren und hauptsächlich bemüht, die Emotionen anzusprechen.“ Damit wisst ihr grob, was euch bei „Der Fall Moriarty“ erwartet.
Briefverkehr mit heiklem Inhalt
Der Plot: Der zu Beginn eher abgehalftert-wienerisch wirkende Sherlock Holmes (gespielt von Claudius von Stolzmann) bekommt einen Auftrag vom böhmischen König, der eine Affäre mit der amerikanischen Schauspielerin Irene Adler (Kimberly Rydell) hatte. Er hat ihr im Zuge dessen Briefe mit expliziten Inhalten geschickt, die er jetzt zurückhaben will, um einen Skandal zu verhindern.

Diese Briefe will auch der Londoner Unterwelt-Boss Professor James Moriarty (Multitalent Markus Kofler), der sich als Holmes ehemaliger Mentor entpuppt. So entsteht ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das heiße Schriftmaterial, in dessen Verlauf Holmes Irene Adler kennenlernt und sich verliebt. Sehr ungewöhnlich für den kühlen, sonst so Verstand-getriebenen Detektiv, der auch in diesem Fall von seinem Assistenten Dr. Watson (Martin Niedermair) unterstützt wird.
Funktioniert Sherlock Holmes als Melodrama?
Gespielt werden alle Rollen von fünf Schauspieler*innen, die teils mehrere Charaktere verkörpern. Das funktioniert okay, wobei einige Rollen für mich nicht gut maßgeschneidert und zu übertrieben wirken.
Das lässt sich aber generell für das Stück sagen: Ich finde den melodramatischen Ansatz grundsätzlich originell, im Stück wird das Überspitzte aber doch sehr stark ausgereizt – und das geht nicht immer gut.
Ein Beispiel: Der Humor ist teils zu derb geraten. So spricht etwa der böhmische König einen absurd starken Akzent und dehnt ständig sein „ääähh“ beim „Spräächen“.
Richtiges Augenrollen hat bei mir eine Szene verursacht, als Doktor Watson einer Frau Komplimente macht, weil sie ein Markenkleid trage: „Ist das von Prada-viče oder Chantal-viče?“. Cringe-Alarm!
Selbst, wenn die Schauspieler*innen zu Beginn des Stücks in einer Art humoristischer Einführung warnen, dass unter anderem gleich böhmische Dialekte aufs Korn genommen werden – sich derart breit über eine Aussprache mit Akzent lustig zu machen, finde ich dennoch plump und unlustig.
Weiteres, nicht unerhebliches Manko: Große inhaltliche Überraschungen gibt’s wenige und ich ahnte schnell, wohin der Fall mündet. Den befriedigenden Krimi-Effekt à la „Wow, jetzt ergibt alles Sinn!“ hatte ich am Ende nicht.
Für mich haben aus diesen Gründen wichtige Elemente gefehlt, die ich in einem Sherlock Holmes-Fall gerne stärker drinnen gehabt hätte. Ist das Stück also ein Reinfall?
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Was Sherlock Holmes richtig macht
Nein, nicht ganz. Es ist trotz der beschriebenen Schwächen kurzweilig. Es gibt einige richtig gut inszenierte Szenen, zum Beispiel ein Faustkampf zwischen Holmes und Moriarty. Der läuft in Zeitlupe ab, wobei bei jedem „Schlag“ laute Box-Kampf-Geräusche eingespielt werden, so ähnlich wie bei einem alten Western.
Dazu erklären wechselweise Holmes oder Moriarty laut, was die Schläge genau im Körper ihres Kontrahenten auslösen (irgendwas mit Schlag in Solar Plexus, Blut schießt hie und da ein …), welche Folgen zu erwarten sind und wie sie gleich zu reagieren gedenken. Auch das ist übertrieben dargestellt – aber originell und da funktioniert das melodramatische Element gut.

Weniger ist oft mehr
Gut gefiel mir das Erzähltempo – die Handlung geht zügig voran. Die Dialoge bleiben meist solide, die Charaktere sind in sich abwechslungsreich und ihre Agenden nachvollziehbar und interessant.
Der Bösewicht Moriarty wird von Markus Kofler stark verkörpert und auch Martin Niedermair als Dr. Watson bringt dann doch zumindest etwas von der versnobt-britischen Eleganz, die ich mir in so einem Stück gerne anschaue.
Auch der Kniff, eine Liebesgeschichte zwischen Irene Adler und dem damit stark überforderten Holmes aufzubauen, ging für mich gut auf und macht die Story lebhafter.
Und last but not least sind die Bühnenbilder gelungen: Sie werden regelmäßig von zwei Skeletten umgebaut und sind angenehm minimalistisch gehalten. Da werden Türen rein- und wieder rausgeschoben, um ganze Räume oder Häuser anzudeuten. Fand ich schlau gelöst und einen guten Kontrast zur aufgeblasenen Inszenierung.
Abschlusswertung: 3 von 5 Punkten
Müsste ich Punkte vergeben, bekäme der Fall Moriarty letztlich 3 von 5. Es ist mit knapp 1 Stunde 40 Minuten ein kurzweiliges Stück, das ein paar größere und kleinere Schwächen hat.
Wenn ihr aber kein klassisches Holmes-Stück erwartet und Lust auf eine stark überspitzte Krimi-Inszenierung habt, der ihr auch nach einer langen Arbeitswoche leicht folgen könnt, wird euch der Besuch nicht enttäuschen. Der eine oder andere Cringe-Moment lässt sich manchmal ausblenden.
